Thermoselect

Eine Reportage von Jasmin Talmann – Studentin an der Hochschule Ansbach (Ressortjournalismus)

Wie eine Müllverbrennungsanlage zum Sondermüll wurde

Vor zehn Jahren fiel der Entschluss, der das Ende für die Thermoselect- Müllverbrennungsanlage bedeutete. So lange ist das Gelände in Ansbach-Brodswinden schon verwaist. Die Gerichtsprozesse dauern bis heute an.
Die Natur kriecht lauernd um die Ruine herum. Grashalme recken sich gierig nach ihr, wollen sie sich einverleiben.

Das alles könnte aussehen wie ein vergessenes Dornröschenschloss in einem hundertjährigen Schlaf – doch die Ruine ist eine Müllverbrennungsanlage, die wie ein dunkelroter Metalldrache mitten im Wald aufragt, mit Giebeldachzacken auf dem Rücken. Seit rund zehn Jahren stehen Gelände und Fabrik nun schon leer.

Dabei hatte alles so vielversprechend angefangen: In den 90er Jahren holt der ortsansässige Abfallentsorgungsverband (AEV), ein Zweckverband aus Vertretern der Landkreise Ansbach und Weißenburg-Gunzenhausen, die neue Technologie der Firma Thermoselect aus Locarno in der Schweiz nach Ansbach. Damit will er das Problem der fehlenden Mülltrennung beseitigen und sich nebenbei auch noch um den kompletten Müll der Region Mittelfranken kümmern.

Gemeinsam mit der Thermischen Abfallentsorgung Ansbach GmbH (TAE), einem Tochterunternehmen der Energie Baden-Württemberg EnBW, startet der AEV das Projekt Müllverbrennungsanlage. Die EnBW hat die Lizenz für den Vertrieb der Thermoselect-Technik in Deutschland inne. Der Spatenstich in Brodswinden erfolgt am 13. September 1998.

Ein vielversprechender Baubeginn

Der Vorschlag des Bund Naturschutz und der Bürgerinitiative Ansbacher Parteiloser e.V. (BAP), eine Papiertonne als ersten Schritt der Mülltrennung einzuführen, wird als utopisch abgeschmettert. Immerhin brauche man das Papier als Futter für die Müllverbrennung. „Die ersten Versuche von Thermoselect waren auch durchaus erfolgversprechend“, erinnert sich Hannes Hüttinger, stellvertretender Bürgermeister der Stadt Ansbach. Zum Zeitpunkt des Planungsbeginns sitzt er im Stadtrat, ist Vorsitzender der BAP und selbst Mitglied des AEV. Noch vertritt er eine neutrale Position.

Verschwelung ist das Zauberwort von Thermoselect. Der Müll wird in einem 10 Meter tiefen Bunker zu Paketen gepresst. In einem luftabgeschlossenen Brennofen wandeln sich die Müllpakete bei 2000 Grad unter Zufuhr von reinem Sauerstoff in Gase und flüssige Bestandteile um. Durch eine Schockabkühlung auf 70 Grad werde laut Thermoselect die Bildung umweltschädlicher Emissionen verhindert, es gebe weniger Reststoffe, die sogar wiederverwertbar seien und außerdem sei das Verfahren auch noch preisgünstig. Soweit zur Theorie.

Die Kritikpunkte häufen sich

Die Realität sieht jedoch ganz anders aus. Hüttinger besucht die Musteranlage in Locarno und führt Gespräche mit Fachleuten: „Ich habe schnell gesehen, dass an dieser Anlage einiges nicht stimmtund nicht so funktioniert, wie es ursprünglich versprochen worden war. Was sich dann ja auch bestätigt hat.“ Bereits im Jahr 1999 werden Störfälle aus Karlsruhe bekannt. Dort steht die einzige Thermoselect-Anlage in Deutschland, die je den Betrieb aufgenommen hat. Von giftigen Gasaustritten, undichten Reaktoren und sogar Explosionen ist die Rede.

Von versprochenen niedrigen Schadstoffwerten sei man meilenweit entfernt. Am Ende müsse man dann auch noch wesentlich mehr Energie in die Müllverbrennung reinstecken, als dabei herauskomme. Und die entstehende Wärme könne sowieso nicht genutzt werden, denn in unmittelbarer Nähe der Müllfabrik in Brodswinden befinden sich keine anderen zu beheizenden Betriebe. „Des weiteren ist jede Müllvernichtung auch kritisch zu sehen, weil in Müll ja auch Rohstoffe drinstecken, organische, Phosphate, Metalle, die man sinnvoller verwerten kann. Und es ist schon bitter genug, wenn man den Rest davon verbrennen muss“, ergänzt Hannes Hüttinger die lange Liste der Gegenargumente.

Der schleichende Niedergang beginnt

Jahrelang kämpfen nun die Ansbacher Bürger an der Seite von Bund Naturschutz und BAP gegen die Thermoselect- Müllverbrennungsanlage. „Es war ein großer Teil der Bevölkerung gegen dieses Projekt“ erinnert sich der stellvertretende Bürgermeister Hannes Hüttinger. Sie gründen Bürgerinitiativen, sammeln Unterschriften und reichen Klagen ein. Denn sie haben Angst. Angst vor den hohen Kosten, Angst vor giftigen Gasen und Angst vor einer Explosion. Die Fertigstellung der Müllfabrik verzögert sich immer wieder.

2003 erkennt der AEV, dass man einen Schlussstrich unter das Projekt ziehen muss. „Einige haben kurz vor dem Ende immer noch geglaubt, es könnte noch was werden. Und dann haben wir gesagt,wollen wir das Risiko lieber an die abgeben, die noch daran glauben und das war halt dann die EnBW“, so Hannes Hüttinger über die Konsequenz dieses Entschlusses – den Verkauf der Anteile des Abfallentsorgungsverbandes Ansbach an die Thermische Abfallentsorgung. Im darauffolgenden Jahr tritt schließlich auch die TAE vom Werkvertrag mit dem Lieferanten Thermoselect zurück.

Seit 1996 hat sie rund 50 Millionen Euro in Planung und Bau der Anlage gesteckt. Die Ansbacher Bürger und der Bund Naturschutz hingegen gehen siegreich aus dem jahrelangen Kampf gegen die Abfallfabrik hervor.

Die Zeit nach dem Ende

Die topmoderne Müllverbrennungsanlage hat ihren Betrieb nie aufgenommen. Die drei Schornsteine haben nie Rauch hinausgepustet. Kein Abfalllastwagen fuhr je über die Müllwaage am roten Pförtnerhäuschen. Und am Tor, das mit einer Eisenkette verschlossen ist, hängt immer noch ein gelbes Schild mit der Aufschrift „Betreten der Baustelle verboten“. Das Müllproblem der 80er Jahre hat die Stadt jedoch auch ohne die Anlage in den Griff bekommen: Sie hat endlich auf
stoffliche Verwertung anstatt auf Verbrennung gesetzt – und eine Papiertonne eingeführt.
Dank Mülltrennung und Sortieranlagen bleibt nur noch ein kleiner Rest, der thermisch behandelt werden muss. Die Verbrennung übernimmt die Stadt Würzburg – und verlangt dafür nur halb so viel Geld, wie es bei der Brodswindener Anlage der Fall gewesen wäre.
Ob es die richtige Entscheidung war, das Vorhaben Thermoselect zu kippen? „Selbstverständlich, aber leider zu spät. Wir wären billiger weggekommen, wenn wir es früher aufgegeben hätten“, reflektiert Hannes Hüttinger. Insgesamt, so sagt er, beliefen sich die Kosten für den Abfallentsorgungsverband auf eine hohe sechs- bis niedrige siebenstellige Zahl. Für die EnBW und Thermoselect seien es mindestens 100 Millionen.

Das Gelände gehört nach wie vor der Thermischen Abfallentsorgung, der EnBW-Tochter. Doch schon längst scheint es in Vergessenheit geraten zu sein. Nur noch selten kommen Menschen hier vorbei. Umgeben von Kiefern und Tannen, erobern sich violette Lupinen und Walderdbeeren langsam ihr Revier zurück. Bis heute ist unklar, ob und wann die Fabrik an der A6 abgerissen wird. Interessenten für das Gelände und die Halle gäbe es genügend. Doch die Gerichtsverfahren zwischen TAE und Thermoselect um unvollständige Anlagen und unbezahlte Werkslöhne sind auch nach zehn Jahren noch nicht abgeschlossen.

Jasmin Talmann